Belllärmt


Ich wohne in einer schönen Wohnung in einem schönen Fachwerkhaus in zentraler Lage in Marburg. Die Uni, alle Cafés, Bars und Restaurants sind nur wenige Meter entfernt. Seit ich vor eineinhalb Monaten hier einzog, verbrachte ich allerdings noch kein einziges Wochenende in meiner Wohnung. Jetzt weiß ich, dass ich das auch nie wieder tun sollte.

Wenn am Samstag Nachmittag um 16 Uhr die Glocken des Kirchenturms anfangen zu läuten, mag das zunächst nichts ungewöhnliches sein. Neben der Tatsache, dass dieser Kirchturm etwa drei Häuser von mir entfernt steht und bei ungeöffneten Fenstern so laut ist wie etwas, das sehr laut ist, und neben der Tatsache, dass die Glocken wochentagsüber nicht nur zu jeder Viertelstunde, sondern auch dreimal täglich, um acht, um zwölf und um 18 Uhr nämlich für fünf Minuten bimmeln, scheint nichts weiter aufregendes an diesen Kirchglocken zu sein.

Weit gefehlt. Am Wochenende geht es nämlich erst richtig los. Völlig willkürlich fangen sie an mit ihrem BIM BAM BIM BAM BIM BAM. Und irgendwann, niemand weiß wann, hören sie wieder auf. Ehrlich. Heute Morgen um 10, um 10:15 um 10:25, um 10:30, um 10:45 bimmelten sie so zwischen zwei und fünf Minuten lang. Als sie tatsächlich gestern um 16 Uhr eine ganze Stunde läuteten, war ich völlig erstaunt. Das muss man sich mal vorstellen. Eine Stunde, das sind 60 Minuten voller BIM BAM BIM BAM vor meinem Fenster. Um 17 Uhr hörten sie dann auf. Für eine Minute war es still, aber nur um mit einem erneuten Läuten die neue volle Stunde anzukündigen.

Ernsthaft mal: Welcher Mensch benutzt Kirchenglocken um sich über die Uhrzeit zu informieren? Das würde ich wirklich unheimlich gern wissen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es jemanden gibt, der so da sitzt und sich denkt, ‚Hm, jetzt wüsste ich gern mal wie spät es ist, weil ich ja um drei die Nachbarin besuchen wollte,‘ und dann wartet diese Person das nächste Glockenläuten ab, anstatt auf irgendeine gottverdammte Uhr zu schauen oder aufs Handy oder meinetwegen auch im Videotext des Fernsehers. Nein, diese Person wartet und wartet und wartet. Und dann macht es bimbimbim BAM BAM. Die kleinen Glocken zeigen dabei an, welches Viertel der Stunde angebrochen ist, und die großen die letzte volle Stunde. Und dann weiß die Person, dass es noch nicht drei Uhr ist. Okay. Ja. Für diese Menschen sollten die Glocken weiterhin läuten. Ehrlich. Die haben es so schon schwer, vielleicht sind Kirchenglocken das Einzige in ihrem Leben, das sie erfreut.

Aber abgesehen von dem allviertelstündlichen Gebimmel ist dieses spontan auftretende, scheinbar niemals aufhörende, kontinuierliche Läuten der absolute Albtraum. Es ist wie eine Spritze, die man jeden Moment eingeführt bekommt. Man wartet nur darauf, dass es los geht. Und dann wartet man darauf, dass es wieder aufhört, nur um die kostbaren stillen Minuten zu genießen, bis man das Gefühl hat, dass es schon zu lange nicht mehr geläutet hat und es wieder augenblicklich losgehen müsste. Das ist alles so schlimm, dass ich mir lieber Minarettengesänge wünsche, als diesen Scheiß.

Wozu bimmeln die denn? Ich sehe da überhaupt keine Logik. Sind irgendwelche Messen, zu der sich die Kirchengänger einfinden sollen? Ja? Schön für die Kirchengänger. Aber ich nehme mal an, dass auch diese Menschen mitlerweile so schlau sind, dass sie wissen wann und wo sie hingehen müssen. Es ist ja nicht mehr so wie vor fünfhundert Jahren, als die Leute nicht wussten, wo sich im Dorf die Kirche befindet, so dass ein lautes Signal ihnen den Weg weisen musste. Also wozu das Ganze?

Vielleicht werde ich demnächst mal diese Kirche besuchen und den Pfarrer oder wen auch immer danach fragen. Und ich werde ihn nach einem Zeitplan für das Läuten der Glocken bitten, wenn es soetwas gibt. Vielleicht klettere ich auch einfach hoch zum Turm und trete die Glocken kaputt. Vielleicht bin ich auch nur so empfindlich, weil mich Kirchenglocken immer so sehr an die Provinz erinnern, in der ich nie mehr leben will. Verkehrslärm ist mir einfach tausenmal lieber. Aber bis es soweit ist, muss ich die Wochenenden ganz, ganz weit weg von meiner Wohnung verbringen.

Categories: Leben

9 Gedanken zu “Belllärmt

  • Wohne etwa 50 Meter vom Radolfzeller Münster entfernt.

    Kenne das.

    Hasse es.

    Seit mehr als einem Jahr.

  • Ja! Unfassbar, oder?

  • Budenmeister

    Schnarchen > bimbimbim BAM BAM

  • Als ich noch ca. 1m kleiner war und meine Nachmittage auf einem Spielplatz verbrachte, musste ich immer zum Leuten der Glocken (18 Uhr) nach Hause. Es wird also von manchen Menschen genutzt 😉

    Aber an deiner Stelle, würde ich die Sekte verklagen, die diese Glocken betreibt! Ganz einfach.

  • Also eine ganze STUNDE empfinde ich schon als Frechheit, das trauen sich die hier immerhin nicht. Aber ansonsten bin ich 150m Luftlinie entfernt von evangelischer und katholischer Kirche im Doppelpack auch von dem Problem geplagt.
    Die Glockenschläge zur vollen Stunde sind ja nicht so das Problem, aber das ausdauernde wie lautstarke Gebimmel mit komplettem Geläut (zu Messe, Angelusgebet oder jeder anderen Gelegenheit, die denen so spontan noch einfällt) könnte gerne in Lautstärke und Länge reduziert werden, wenn nicht in eng bebauten Wohngebieten komplett abgeschafft. Aber hey, andere akustisch in den Wahnsinn treiben zu dürfen, fällt ja unter Religionsfreiheit…

  • Ganz meine Meinung, Daniel. Zur Not würde ich das mit Läuten zur vollen Stunde auch noch akzeptieren, aber alles andere ist Lärmbelästigung.
    Und du hast Recht, der Deckmantel der Religionsfreiheit greift hier mal wieder vorzüglich.

  • haha. das hatte ich neulich in london in einem hostel. sonntags..es fing an, wie du beschrieben hast. und immer wieder kamen neue leute in die kirche..oder sowas. ich glaube, es ist einfach nur soetwas wie der dritte gong bei der pause während eines konzerts oder so. „KOMMT JETZT ZUM GOTTESDIENST, IHR PENNER!“ schreit die kirche da evtl?!

  • Steppenwolf

    Na ja, kenn ich: ist so ähnlich wie wenn man günstig an der Bahn baut und anschließend die Deutsche Bahn wegen Ruhestörung verklagt.
    Ich wohne selbst in der Nähe von einer Kirche und hab mich in all den Jahren daran gewöhnt. Ich höre sie in der Regel nicht. Aber ich lasse mich sonntags sehr gerne langsam aus dem Schlaf bimmeln, damit ich den schönen Tag nicht vollends verschlafe.
    Zum Bimmeln selbst empfehle ich die Erklärung unter Wikipedia

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert