Die Renaissance des Präteritums

Ich saß einmal in einem Café in Berlin Mitte, das Kaffee Mitte hieß, und dachte über Blaubeermuffins nach. Die sah ich nämlich in diesem Kühlkasten an der Ladentheke. Daneben befanden sich noch Cheescake-Brownies und diverse Tartes. Neben mir saßen vier Businessleute, die scheinbar irgendein bevorstehendes Event organisierten. Sie redeten über Development und Recognition. Zu meiner Rechten tippte ein netter Mann Dinge in sein MacBook. Es war ein sonniger Tag in Berlin. Was nicht so verwunderlich wäre, wenn nicht gleichzeitig Freunde auf Facebook posteten, dass es bei ihnen schneite.

An der Wand des Cafés hingen Bilder von Emiliano Baiocchi. Die konnte man nicht kaufen, aber darunter stand Emilanos E-Mail Adresse, so dass man ihn vielleicht hätte kontaktieren können, wenn einem seine Bilder gefielen. Menschen kamen zur Tür herein und stellten sich brav in die Schlange, die sich an der Theke bildete. Einige griffen zum Kühlschrank und nahmen sich Mate oder Afri-Cola heraus. Ich stöpselte mir Kopfhörer in meine Ohren und lauschte der Musik meiner Playliste. In den Übergängen der Songs hörte ich die Espressomaschine rauschen. Ich nahm den letzten Schluck meines Latte Macchiatos, der inzwischen erkaltetet war.

Mir fiel auf, wie wunderschön das Präteritum ist. Es geriet irgendwie in Vergessenheit. Traurigerweise. Denn es ist eine großartige sprachliche Erfindung. Es muss wieder mehr benutzt werden. Und zwar nicht nur in geschriebener Form, sondern auch im Sprachgebrauch. Alles klänge viel stilvoller und angenehmer. Alles wirkte ein bisschen hübscher. Weil Dinge nämlich nicht nur visuell ästhetisch sein können. Vielleicht liegt die Besonderheit des Präteritums auch darin, dass seine Bildung ein bisschen anspruchsvoller ist, als die des Perfekts. Schließlich muss man schwache und starke Verben unterscheiden, und die Starken sind so stark, dass sie ihren ganzen Wortstamm verändern können. Und dann klingen die Wörter plötzlich ganz anders.

Ich mag die deutsche Sprache. Man sollte sie nur richtig benutzen. Korrekte Grammatik war mir schon immer sehr wichtig. Sie faszinierte mich in der Schule, wo ich mich genau für die Regeln interessierte. Ich verfechte sie bis heute. Deswegen zucke ich jedes Mal ein bisschen zusammen, wenn Menschen „Einzigste“ sagen. Aber ich werde die Leute nicht verbessern. Das tue ich heimlich in meinen Gedanken. Und vielleicht merkt sich ja irgendwann jeder, dass es niemals „wegen dem“ heißen kann. Es wäre jedenfalls schade, wenn nicht. Der Genitiv ist des Dativs überlegender Bruder. Nämlich.

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11 Gedanken zu “Die Renaissance des Präteritums

  • Tom

    Der Präteritum?

  • iPoesc

    Ganz ehrlich, ich denke, wenn so gut wie jeder heutzutage „einzigster“ sagt, hat sich die deutsche Sprache sohingehend verändert, als dass eben diese Wendung jetzt in sie aufgenommen ist. Ähnlich ist das mit Fällen, wie „letzten Jahres“ (statt „letztes Jahres“), oder dem Schwund des Genitivs. Mich nerven dann eher die Leute, die denken, die Sprache ist jetzt fertig und entwickelt sich nicht mehr weiter. Damit stemmt man sich gegen den natürlichen Verlauf der Dinge. Hätte es schon immer so Leute gegeben, die darauf bestanden hätten, die Sprache ab einem gewissen Zeitpunkt einzufrieren, würden wir heute noch Althochdeutsch, oder gar Indogermanisch sprechen (ich habe absichtlich nicht „sprächen“ geschrieben), was ja eindeutig nicht der Fall ist.

    Hätte man schon immer auf die Bewahrung aller Fälle gepocht (siehe Genitiv), hätte das Deutsche heute auch noch mehr als vier Fälle. Sprachen werden nicht fertig, das ist das Interessante an ihnen. Sie entwickeln sich weiter, die ganze Zeit. Zum Einfachen, aber auch auseinander, wie man an den Dialekten sieht. Und wenn man die Dialekte zum Beispiel niederschlägt, verlieren die Gegenden des deutschen Sprachraums und damit auch die Sprache an sich etwas Eigentümliches, Spezielles.

    Und glaub mir, hier in der schwäbischsprachigen Gegend ist das Präteritum so gut wie überhaupt nicht mehr vorhanden (der Dialekt an sich kennt diese Zeitstufe gar nicht mehr, was, so weit ich weiß, an irgendeiner Lautverschiebung liegt, aufgrund derer das „e“ am Wortende entfällt, woraufhin das Präteritum häufig nicht mehr vom Präsens zu unterscheiden war, aber ich möchte mich hier jetzt nicht zu weit aus dem Fenster lehnen).

    Lasst diese Sprache doch einfach in Ruhe!

    • Auch eine schöne Sichtweise. 🙂 Ich gebe dir Recht, dass Sprache lebendig ist und sein muss. Und dass sich die Regeln für Grammatik und Rechtschreibung entwickeln und verändern, sollte man auch nicht aufhalten.
      Nichtsdestotrotz finde ich die Sprache schön, so wie sie jetzt ist. 🙂

  • dan

    ich las diesen beitrag mit freude. sehr schön 🙂

  • Sebastian

    Sehr schöner Artikel. Ich musste sogar ein wenig schmunzeln, als ich mich selbst dabei erwischte, das Präteritum vom „Backen“ noch nicht einmal gehört, geschweige denn gelesen zu haben. Dies ist, so scheint es mir, noch nicht zu uns in die Berge hervorgedrungen. Ich sollte wohl zusehens wieder etwas mehr deutsch zu sprechen versuchen :). Danke für den Anstoß. Liebe Grüße aus Tirol.

  • Andreas

    LOL, was nen guter Beitrag. Die gleichen Gedanken hab ich auch manchmal gehabt. Deine überlegenen Überlegungen überlägen jedoch in überragender Weise, wenn du die Renaissance oder überhaupt erst die Naissance vom Plusquam-Perfekt fördertest. Neben dem Futur II die einzigste Zeitform, wo keiner so recht bilden, geschweige denn richtig einsetzen kann.
    Dann viel Spaß beim heimeligen Korrigieren der Fehler 😀
    Ich hoffe, dass wir uns im Laufe der Semsterferien mal in Berlin gesehen haben werden ♥

  • Schön. Letztens fiel mir noch auf, dass ich vermehrt „aß“ und solche Dinge sage, jetzt lande ich hier und lese diesen Text und muss da ein wenig zustimmen. 🙂

    (Ich kam hier durch des elektrospaniers twitter her.)

  • Der Jan ist sowieso der Beste! Twitterte er über den Blog? Und wieso sah ich das nicht? O.o

  • Ich meine schon, irgendwie landete es nämlich in meinem Instapaper und das tut die Dinge meist über twitter. Find aber keinen Tweet dazu. Mist.

  • […] klingt ein wenig stilvoller, wenn man es benutzt. Wollte ich hier schon vor einiger Zeit erwähnen, tat Madlen vor ein paar Tagen aber bedeutend besser: Mir fiel auf, wie wunderschön das Präteritum ist. Es geriet irgendwie in […]

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