Wenn Menschen sterben

Ich habe meine beiden Opas und meine Oma verloren. Da war ich noch jünger, und deswegen auch nicht auf den Beerdigungen. Beerdigungen sind nämlich grauenvoll. Alles ist schwarz, ernst und man muss Leute weinen sehen. Ich habe ein unendliches Glück, dass ich keine weiteren Menschen, die mir nahe stehen, verabschieden musste. Deswegen macht es mir auch Angst, wenn es je dazu kommen sollte. Ich habe keine Ahnung, wie ich damit umgehen werde. Ob es mir den Boden unter Füßen reißt, oder ob ich den Verlust verarbeiten kann.

Jemand starb am Sonntag. Niemand, den ich persönlich kannte. Und doch traf es mich härter als erwartet. Ein Autounfall. Eine Unachtsamkeit und plötzlich waren vier Menschen tot. Menschen, die anderen Menschen wichtig sind. Die jetzt ohne sie weiterleben müssen. Ich weiß nicht, wie sich diese Leere anfühlt. Ich kann es erahnen, aber ich bin fürchterlich naiv und unwissend.

Als diese Regionalbahn gegen den Güterzug fuhr, starben zehn Menschen. Komische Gedanken tun sich auf und ich stelle mir vor, wie der Lokführer in seinem Lokführerraum saß und es war nachts und dunkel und plötzlich taucht da dieser Zug auf. Es waren vielleicht fünf Sekunden oder keine Ahnung. Was hat der Lokführer da gedacht? Was muss er gefühlt haben, zu wissen, was auf ihn zukommt. Hat er Zeit gehabt, die Situation zu realisieren? Muss er das überhaupt? Ich werde so unendlich traurig, wenn ich an diesen einen Lokführer denke.

In dem Buch, das ich gerade lese*, sagt eine Person, dass es nicht der eigene Tod ist, vor dem sich Menschen fürchten. Denn den eigenen Tod haben wir noch nicht erlebt, also wieso sollten wir davor Angst haben? Wir fürchten höchstens die Unwissenheit, wie der Tod sein wird. Aber letztendlich ist das Allerschlimmste am Tod, der Tod anderer Menschen. Der Verlust, die Leere. Tode von Menschen, die wir lieben oder die wir kennen. Grausame und schreckliche Tode. Das macht uns Angst. Weil es immer die Hinterbliebenen sind, die damit klarkommen müssen. Die, die trauern müssen. Und dabei ist Trauern ein schmaler Grat zwischen angemessener Traurigkeit und dem Weiterleben, Verarbeiten, Ablenken. Das muss man ja irgendwie. Oder?

Ich weiß nicht, was der Lokführer in seinen letzten Sekunden gedacht hat. Und wie lange ihm diese vorgekommen sind. Vielleicht eine Ewigkeit, so dass er genügend Zeit hatte, mit Allem abzuschließen und so etwas wie Frieden zu finden. Oder alles war so schnell, dass er nichts mehr denken konnte.

Vielleicht ist so ein Blog ja auch gar nicht die richtige Plattform für solche Gedanken, weil sie immer zu kurz gedacht sind. Aber ich fühlte gerade diese innere Traurigkeit und das Bedürfnis es aufschreiben zu müssen.

* „The Imperfectionists“ von Tom Rachman

Categories: Leben

5 Gedanken zu “Wenn Menschen sterben

  • Soeben wurden die ganzen deutsche-HIMYM-Folgen-Gucker gespoilert. Harhar.

  • Jerry

    wenn wir jetzt auf facebook wären, würde ich „i like“ anklicken 😉
    wirklich schöner artikel, gerne mehr davon madlenchen 😉

  • Wikrlich gut beschrieben – ich ertappe mich ja auch manchmal, wie ich mir ganz ähnliche Gedanken über solche Unglücke mache…
    Und es stimmt schon, das schlimmste ist der Tod von geliebten, nahestehenden Menschen. Ist immer schwierig, das zu verarbeiten und überhaupt sich bewusst zu werden, was das heißt, tot: Endgültig weg, zu spät für alles, was man ihm/ihr gerne noch gesagt hätte…
    Traurig, aber da begreift man eben auch, dass das Leben begrenzt ist – und man zieht (hoffentlich) seine Schlüsse für das eigenes Leben daraus.

  • […] Wenn Menschen sterben: ”Was hat der Lokführer da gedacht? Was muss er gefühlt haben, zu wissen, was auf ihn zukommt. Hat er Zeit gehabt, die Situation zu realisieren? Muss er das überhaupt? Ich werde so unendlich traurig, wenn ich an diesen einen Lokführer denke.” […]

  • […] Wenn Menschen sterben: “Was hat der Lokführer da gedacht? Was muss er gefühlt haben, zu wissen, was auf ihn zukommt. Hat er Zeit gehabt, die Situation zu realisieren? Muss er das überhaupt? Ich werde so unendlich traurig, wenn ich an diesen einen Lokführer denke.” […]

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