Der bekiffte Intellekt

Ich schaue aus meinem Fenster und sehe zwei große Gebäude. Nur eine kleine Straße trennt sie voneinander. Es sind zwei Häuser, wie sie unterschiedlicher nicht sein können. Sie stehen da auf gleicher Höhe und beäugen sich gegenseitig, so als hätten sie sich damit abgefunden, dass sie so nah aneinander existieren müssen. Wie zwei Feinde, die einen Waffenstillstand geschlossen haben.

Links ragt eine Polizei- und Feuerwehrstation über fünf Stockwerke empor. Nur in dem ersten wird für Recht und Ordnung gesorgt. Die anderen Etagen sind leer. Manchmal kommen Maler und streichen in den oberen Räumen die Wände. Nachts brennen die Lichter, die sie vergessen haben auszumachen. Es ist ein alter 50er Jahre Bau. So wie viele hier in Friedrichshain.

Rechts daneben sehe ich das andere Gebäude. Gleicher Baustil, genauso hoch, aber viel kolossaler. Das Berghain. Ich schätze, es sind etwa 100 Meter von meiner Wohnung bis zum Darkroom. Einhundert Meter zwischen hier und all dem Dunklen, Verdorbenen, Unwirklichem, das sich dort abspielt.

Animiert von dem gerade durch die Presse gehenden Blog ‚Strobo‘ von Airen und seiner kopierten Version von Helene Hegemann, wollte ich mir auch einmal so pseudo-szenig-berlinerisch Gedanken über Drogen machen. In Airens Blog kifft sich der Protagonist durch die Berliner Clubs. Nein. Er kifft nicht nur. Er kokst auch. Er speedet, extasiert, peppt, schnupft, fickt, bläst, tanzt, schläft und philosophiert sich durch die Maria, das Watergate, den Tresor, das Cassiopeia, das SO36 und vor allem durch das Berghain.

Ich hab eine Freundin, die mal mit einem Airen-Verschnitt zusammen war. Er war ein gescheiterter D-Klasse Schauspieler. Er kannte damals keine Tageszeiten mehr, weil er berauscht durchs Leben schritt und in allen Clubs Berlins zu Hause war. Dadurch verpasste er es zu Castings zu gehen und bekam bald nicht mal mehr Telenovela-Rollen. Dann stürzte er noch mehr ab.

Es war ein Schock für mich. Mein kleines ländliches Kartenhaus viel zusammen. Dabei war es doch so naiv von mir zu denken, dass die Menschen keine Drogen nehmen. Dass keiner kifft, weil es doch illegal ist. Und ich dachte auch irgendwie, dass die Zeiten vorbei wären. Ecstasy war doch so 90er. Dabei ist das Zeug noch immer in aller Munde.
Woher kommt eigentlich diese gesellschaftliche Akzeptanz fürs Kiffen?

Bilder wie solche wirken amüsant. Man schmunzelt über Hollandurlauber, die Hasch über die Grenze schmuggeln. In Filmen verhalten sich kiffende Jugendliche immer so witzig. Kiffende Eltern sind total cool. Cannabis-Pflanzen zu Hause anzubauen völlig normal. Wieso? Und wieso geilt sich das Feuilleton so sehr über kaputte junge Mädchen auf, die sich eine Line Koks nach der anderen ziehen, um dann mit dem Taxifahrer Sex zu haben? Es scheint doch, als sehnen wir uns insgeheim nach einer Portion dieser Irrealität, die diese Menschen erleben. Als könnte ein Stückchen ihrer Unwirklichkeit unsere Realität betäuben.

Die nichtdrogenkonsumierende Menschen verbleiben nur in ihrer realen Peristase. Sie erleben alles und kriegen alles mit. Sie tun dies und sagen jenes und empfinden alles. Das muss ja auf die Dauer anstrengend sein.

In der Schule auf dem Dorf damals gab es nur ein paar wenige notorische Kiffer. Sie waren immer müde und verpeilt. Sie wirkten gelangweilt und abwesend. Aber ihr Abitur schafften sie mit links. Und sie waren es, die als einzige etwas Interessantes, Kreatives, Originelles in mein Jahrbuch schrieben.

Ich hatte an meiner Uni zwei Kommilitonen, die super stylisch aussahen, die Berliner Clubszene in und auswendig kannten, jeden Abend einen Joint rauchten, nur zu Pflichtveranstaltungen der Uni gingen, nie etwas extra erledigten und ihr Studium mit 1,2 abschlossen.

Das bohemische Prenzlauer Berg ist übersät mit kiffenden alt-68er, die jetzt erfolgreiche Architekten und Theaterintendanten sind.

Airen hat sein BWL Studium beendet und arbeitete danach in einer Unternehmensberatung.
Haben bekiffte Leute etwa mehr Erfolg im Leben? Können sie sich im richtigen Moment besser konzentrieren, um für eine Klausur zu lernen? Finden sie im richtigen Moment die richtigen Wörter, um die Seminararbeit zu schreiben? Können sie sich im richtigen Moment entspannen, um gelassen das Referat zu halten?

Ich setzte mir jetzt wieder meine rosa Brille auf und wünsche mir, dass es da keinen Zusammenhang gibt.

Categories: Leben

Ein Gedanke zu “Der bekiffte Intellekt

  • DerJogurtMitDerEcke

    Hallo Madlene!

    Wenn kiffen solche Kräfte verleihen würde, dann würde es jeder tun. Sei unbesorgt 🙂

    Gruß

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