Von Klischees, ersten Eindrücken und anderen Oberflächlichkeiten

Oder wie ich in einer Woche drei Stefans* kennenlernte…

Wie sieht ein typischer BWL Student aus? Welche Hobbies hat er? Was trägt er für Klamotten? Und wie ist das bei Juristen? Oder Kulturwissenschaftlern?

Da meine Uni genau über diese 3 Fakultäten verfügt, bin ein Profi, was das objektive Erkennen und Zuordnen jener Spezies zu einer bestimmten Studiengruppe angeht. Natürlich lasse ich mich dabei von Äußerlichkeiten beeinflussen und vergleiche diese mit den bekannten Stereotypen. Das Erstaunliche ist, dass ich wahrscheinlich richtig liege, ohne je ein Wort mit der Person gesprochen zu haben.

Mit Sicherheit liegt das wohl auch daran, dass Wirtschafts-, Rechts- und Kulturwissenschaftler an sich höchst unterschiedliche Persönlichkeiten sind und meine Einteilung deshalb besonders leicht ist. Allerdings habe ich die Befürchtung, dass auch in anderen Gebieten und Kreisen viele Menschen immer mehr und mehr zur realen Personifizierung ihres Stereotypus werden.

Da wäre zum Beispiel Stefan Nummer Eins. Er ist Wirtschaftswissenschaftler. Solides Diplomstudium, solide Erfahrungen in der Berufs- und Frauenwelt. Solides Aussehen. Wir kennen uns von der Uni; hatten mal was. War auch solide. Nichts Weltbewegendes, aber man weiß wenigstens was man kriegt und man wird deshalb auch nicht enttäuscht. Ein BWLer halt.
Stefan Nummer Zwei ist Jurastudent. Weil sein Aussehen (weißes Hemd unter schwarzem V-Kragen Pullover, Brille, gel-gekämmte Haare) noch nicht ausreicht, füge ich hinzu: Partei-Kreisvorsitzender, Tennisspieler, Einzelkind und seine Eltern wohnen immer noch bei ihm. Löblich wäre ja, wie fleißig und ehrgeizig er ist. Aber ernsthaft: Soll man wirklich soviele Häkchen auf einer imaginären Klischeeliste für Juristen machen dürfen? Ich hätte nie gedacht, dass es echt jemanden gibt, der vom ersten bis zum letzten Eindruck den perfekten Stereotyp bildet. Was natürlich nicht schlimm gewesen wäre, denn ich steh auf solche Menschen. Leider hat er aber überhaupt keinen Humor, so dass aus uns nie was hätte werden können.

Wenn man in Berlin wohnt und ständig mit U und S Bahn unterwegs ist, hat man viel Zeit, bestimmte Charaktere zu beobachten und zu analysieren. Da gibt es den Prenzlberger Hippie-Yuppie Vater, der iPod-hörend den Kinderwagen in den Bioladen schiebt. Oder die Kreuzberger Ed Hardy Atzen, die sich gegenseitig ihre neueste Handymusik laut vorspielen und dabei anderen schicken stylischen Mädchen in schwarzen Strumpfhosen und Stiefeln hinterher schauen.

Oder die grünwählende Sozialwissenschaftspädagogik Studentin mit Nebenfach Kommunikationsdesign für interkulturelle Mediengestaltung, die sich mit ihrem zwanzigfarbigem Wollschal über dem einundzwanzigfarbigem Wollpullover gerade zweiundzwanzig Bücher aus der Staatsbibliothek ausgeliehen hat.

Die jobbenden Malteser bzw. WWF-Fundraiser, die ihr Studium der Geschichte und Politik für eine kreative Pause unterbrochen haben, in der sie was fotografieren, malen oder designen wollen.

Oder die Senioren Touristen auf Bus-Tagesausflug, die unwahrscheinlich oft direkt vor oder nach Rolltreppen, gern auch links auf ihnen, stehenbleiben müssen; oder in Einkaufszentren den Wettbewerb des Langsamlaufens, Wegkreuzens, oder Ohne-Warnung-Stehenbleibens gewinnen wollen.

Oder die Junioren Touristen aus Amerika und Australien, die sich grundsätzlich nie einen U Bahn Fahrschein kaufen, die Freiheit des Alkohols-auf-der-Straße-Trinkens vollends auskosten und an Freitagabenden auf der Warschauer-Brücke scheinbar unendlich oft hin und herlaufen und andere nach der besten Party-Location fragen…

Ich könnte stundenlang so weitermachen. Aber ich wollte ja noch von Stefan Nummer Drei erzählen. Den lernte ich am Wochenende im Club kennen. Er sah aus wie ein Kreuzberger Ed Hardy Atze oder wahlweise auch aus Fürstenwalde/Spree. Und dann erzählte er mir, dass er mit seinen zarten 22 Jahren gerade sein Masterstudium zur Luft- und Raumfahrttechnik begonnen hatte und nebenbei noch seine Pilotenausbildung macht…

Danke, liebes Klischee, dass auf dich nicht immer Verlass ist!

*Name von der Redaktion (also mir) geändert

Categories: Leben

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